„Toast“ – eine Kurzgeschichte

[alert type=“info“]Der folgende Text enthält sexuell explizite Szenen.[/alert]

Bei einem Besuch im Supermarkt entdeckt Martin, wie nah doch Realität und Fiktion beieinander liegen können.

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Toast – eine Kurzgeschichte by Victor Redman on hearthis.at


 

Der gute Toast war aus. Der dunkle mit den Kürbiskernsplittern. Ausverkauft. So konnte Martin zwar ein oder auch zwei Euro sparen, dafür musste er sich aber mit dem faden 69-Cent-Toast begnügen, der wie üblich die Regale verstopfte und ganz offensichtlich nie ausging, was natürlich auch daran liegen mochte, dass es sich um die Hausmarke des Supermarktes handelte.

Sich über die Marke seines Toastbrots aufzuregen war natürlich pedantisch und spießig, eine Kleinkariertheit zu der nur jemand im Stande sein konnte, der sonst keine Probleme im Leben hatte, oder einfach gar kein Leben. Martin wollte sich darüber nicht ärgern. Aber er ärgerte sich. Nun lag in seinem Korb neben den Bio-Eiern, den Tomaten aus lokalem Anbau und der teuren sizilianischen Wurst dieser in Plastik verschweißte Dreck — als würde man ein feines Filetsteak in Fertigsoße marinieren.

Mürrisch begann Martin seine Einkäufe auf das Kassenband zu legen. Beeilen musste er sich dabei nicht, denn trotz der endlos langen Schlange hielt es offenbar niemand für nötig, eine weitere Kasse zu öffnen. Toll. Natürlich hätte er auch ausgerechnet nicht Samstagvormittag einkaufen müssen. Und sich über Schlangen an der Supermarkt-Kasse zu ärgern war mindestens genauso spießig wie Aufregung über die falsche Marke Toastbrot. Martin schluckte den aufkeimenden Ärger hinunter und sparte sich jeden Kommentar — eine Entscheidung, über die er froh war, als er endlich an die Reihe kam.

Das zierliche Mädchen an der Kasse — sie konnte kaum älter als 20 sein, so dass diese Bezeichnung ihm gerade noch passend erschien — hatte sich mit ihrem Arbeitsplatz offensichtlich noch nicht ganz angefreundet. Mit jeder Verpackung mühte sie sich aufs Neue ab, bis endlich das erlösende Piepgeräusch ertönte und das gescannte Produkt auf ihrem Monitor erschien. Dabei wurde sie mit jedem Versuch hektischer.

„Entschuldigung“, sagte sie mit einem Seitenblick zu ihm. „Das ist mein erster Tag.“

„Macht gar nichts.“ Zu Martins eigener Überraschung stellte er fest, dass er es tatsächlich so meinte. Irgendwoher kannte er die Neue. Ihm wollte nur nicht einfallen woher, und nachfragen konnte er nicht; das konnte sie ja nur als lahme Anmache verstehen. Inzwischen hatte sie den Großteil seines Einkaufs erfolgreich über den Scanner bugsiert. Nur die sizilianische Wurst machte ihr noch Probleme.

„Computer, hm?“, meinte er. „Lösen Probleme, die wir ohne sie nicht hätten.“

Sie lachte zustimmend. Ihre eisblauen Augen blitzten auf. „Das können Sie laut sagen! Also, mein iPhone geb‘ ich nicht mehr her, aber das macht auch, was es soll. Keine Ahnung, was das Ding hier gegen mich hat. Vielleicht bin ich einfach zu blond.“

Wie um ihre Aussage zu unterstreichen, strich sie sich eine blonde Strähne aus der Stirn. Dabei lächelte sie verlegen. Ob es daran lag, dass sie mit ihrer Kasse nicht zurechtkam, oder doch eher daran, dass sie bemerkte, wie sie ins Plappern geriet, wusste Martin nicht.

„Du kriegst das schon hin“, sagte er gönnerhaft und war vom Sie zum Du gewechselt, ohne es überhaupt zu merken.

„Dein Wort in Gottes Ohr.“

Er hatte gerade noch Zeit zu bemerken, dass sie ihn zurück geduzt hatte, da piepste endlich der Scanner und die sizilianische Wurst erschien unter den guten Tomaten auf dem Kassen-Diaplay.

Yes!“ Sie freute sich, als hätte sie bei Günther Jauch die Milionenfrage gelöst. Martin musste grinsen.

„High Five!, lachte er, und sie schlug ein, ohne zu zögern.

„Bitte beehren Sie uns bald wieder“, flötete sie dann und schenke Martin ein weiteres Lächeln zum Abschied.


Woher er sie kannte fiel ihm wie Schuppen von den Augen, als er wenig später an seinem Esstisch saß und das frisch zubereitete Rührei mit Toast genoss. Der Mund blieb ihm offen stehen. Er ließ die Gabel auf den noch halbvollen Teller zurückfallen und griff nach seinem Tablet PC.

Auf der mit Werbebannern gepflasterten Website tippte er ein kleines Vorschaubild an und wurde sogleich auf die Unterseite weitergeleitet, die das dazugehörige Video beherbergte:

Ein Wohnzimmer mit angeschlossenem Küchenblock. Alles ist sauber und aufgeräumt. Ein bisschen zu sauber und aufgeräumt sogar. Das Ganze sieht eher aus wie eine IKEA-Katalog-Wohnung als ein echtes Zuhause.

Ein Mann im Bademantel lehnt am Küchenblock und schlürft Kaffee. Er ist hochgewachsen, gut gebaut und gepflegt und wirkt insgesamt nicht weniger künstlich als seine Umgebung. Attraktiv ist er allerdings, das muss auch Martin als heterosexueller Mann neidlos einräumen.

Von irgendwoher hört meine eine Tür klappen, dann die Schritter nackter Füße auf dem Fliesenboden. Ihre kleinen Füße mit den türkis lackierten Zehen sind auch das erste, was man von ihr sieht, als sie den Raum betritt. Die Kamera wandert nach oben, über schlanke Beine und einen bis zum gepiercten Bauchnabel geöffneten Bademantel. Ihre kleinen, fest anmutenden Brüste sind nur zur Hälfte unter dem flauschigen Stoff versteckt. Und dann endet die Kamerafahrt auf dem schmalen Gesicht mit den eisblauen Augen, das von einer Mähne aus blonden Locken umrahmt wird. Sie lächelt verschmitzt.

„Morgen“, haucht sie. „Willst du vielleicht einen Toast?“

Ihr lasziver Tonfall wundert Martin nicht. Eer weiß ja, was kommt.

Der Mann bejaht. Die Blondine stakst durch den Raum, holt eine Scheibe Toast aus dem Brotkorb und schiebt sie in den Toaster, der auf der Arbeitsfläche gegenüber des Küchenblocks steht. Die Wartezeit überbrücken die beiden mit Knutschen und fummeln. Nichts besonderes, aber der Mann versucht auch nicht zu eskalieren. Endlich schießt das Toast aus dem Röstschacht. Beide wenden sich der Küchenmaschine zu, die jetzt im Vordergrund zwei Drittel des Bildes einnimmt.

„Was möchtest du drauf?“, fragt sie ihn schmachtend.

Er gibt keine Antwort. Stattdessen zieht er lakonisch grinsend das Brot aus dem Toaster, öffnet dann seinen Bademantel und beginnt zu onanieren. Sie beobachtet und beißt sich dabbei auf die Unterlippe, als sei das, was er da tut, das Spannendste und Erregendste, was sie jemals gesehen hätte. Endlich spritzt er ab und sie stöhnt auf. Mit einer Hand wischt er sich den Schweiß von der Stirn, mit anderen bietet er ihr das veredelte Toastbrot an

„Probier!“, sagt er irgendwo zwischen Spitzbübischkeit und Befehlston. „Schmeckt… geil.“

Die Blondine fixiert das Brot wie das Kaninchen die Schlange. Kurz zögert sie, dann greift sie zu und führt das Brot in einer fließenden Bewegung zum Mund. Schon beim ersten Bissen verdreht sie genussvoll stöhnend die Augen. Völlig übertrieben, aber so ist das in dieser Art Film nun mal, das weiß Martin. Die Kamera bleibt auf dem Gesicht der Blonden, bis sie das Toast gänzlich verspeist hat. Ein einzelner weißer Tropfen rinnt von ihrer Unterlippe ihr Kinn hinunter. Der Mann fängt ihn mit seinem Zeigefinger auf und lässt sie ihn ablecken.

„Na, gefällt dir das?“ fragt er fordernd.

Martin stoppte das Video. Ein Glück hatte er nicht nachgefragt. Wie peinlich! Allein der Gedanke ließ ihm die Schamesröte ins Gesicht schießen. Plötzlich wünschte er sich, das Video nie gesehen zu haben.

Wüsste die blonde Kassiererin, dass er sie so gesehen, ja, es sogar genossen hatte, würde sie ihm ganz sicher keines ihrer bezaubernden Lächeln mehr schenken. Sowas machte schließlich niemand aus Spaß an der Freude, das war landläufig bekannt. Vermutlich war sie in Geld- oder schlimmeren Nöten, und er, Martin, gehörte nun zum Kreis derer, die von ihrer Not profitierten.

Er schämte sich. Allerdings hielt ihn das nicht davon ab, in der Küche den Billig-Toast aus dem Brotkorb zu holen, eine Scheibe heraus zu fischen und noch im Stehen mit dem Onanieren zu beginnen.